In­ter­view mit Dr. Ey­mann, SOE-Prä­si­den­tin

25. März 2024 – «Wir wissen, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Erde wieder bebt. Darauf wollen wir mit der Schadenorganisation Erdbeben SOE vorbereitet sein.» 

Mit der Gründung der SOE hat die Schweiz einen wichtigen Grundstein für die Erdbebenvorsorge gelegt, das betont Dr. iur. Stephanie Eymann. Dr. Eymann ist Regierungsrätin im Amt als Vorsteherin des Justiz- und Sicherheitsdepartements im Kanton Basel-Stadt. Sie ist zudem die Präsidentin der SOE. Weshalb die Vorsorgearbeit der SOE von grosser Relevanz ist und welche Rolle die Schweizer Politik in der Erdbebenvorsorge spielt, erklärt Dr. Eymann im Interview.  

Frau Dr. Eymann, Sie sind die Präsidentin der SOE. Wie sind Sie in dieses Amt gewählt worden? 

Ich wurde vom damaligen Direktor der Gebäudeversicherung Basel-Stadt im Namen der RK MZF angefragt, ob ich mir die Gründung des Vereins vorstellen und den Aufbau leiten könne. Das Thema ist wichtig und deshalb habe ich gerne zugesagt. 

Sie sind zudem Regierungsrätin in Basel-Stadt. Welchen Mehrwert bringt die SOE der Stadt Basel?  

In Basel ist das Bewusstsein präsent, dass wir in einem erdbebengefährdeten Gebiet leben. Die kollektive Erinnerung an das Erdbeben von 1356 ist in der Stadt verankert. Es war eines der grössten Erdbeben in Mitteleuropa und hatte verheerende Auswirkungen auf die Stadt. Im Alltag spielt das Erdbeben zwar keine Rolle mehr. Wir wissen aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis die Erde wieder beben wird. Darauf wollen wir vorbereitet sein. Dabei hilft uns die Schadenorganisation Erdbeben, weil sie wichtige fachliche Unterstützung bei der Vorsorge, der Schadensminderung und der Ereignisbewältigung bietet. 

Und welchen Mehrwert besteht für den Rest der Schweiz?  

Auch wenn Basel auf dem Oberrheingraben liegt und damit Erdbeben wahrscheinlicher sind als im Rest der Schweiz, so ist der Vorteil der Schadenorganisation Erdbeben auch für andere Kantone derselbe: Zu gewissen Spezialgebieten im Bereich der Erdbebenforschung gibt es schweizweit nur wenige Fachpersonen. Kantone, Gemeinden und Organisationen verfügen nicht immer über dieses Fachwissen. Da springt die SOE in die Lücke. 

Wo lagen die Herausforderungen bei der Gründung der SOE?  

Die Gründung und dann der Start des Umsetzungsprojektes waren im Rückblick tatsächlich die grössten Herausforderungen. Für die Gründung war das Einverständnis der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) einerseits und das Einverständnis der Branchenverbände der Versicherer, der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG) und des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV) nötig. Bedingt durch die Pandemie hat sich der Entscheid zur Schaffung der SOE um Monate verzögert.  

Für den Start des Projektes war die Unterzeichnung der Leistungsvereinbarungen mit allen Partnern Voraussetzung, weil darin unter anderem auch die finanziellen Verpflichtungen geregelt sind. Auch der Abschluss der Leistungsvereinbarungen mit allen Kantonen und Versicherern hat viel mehr Zeit in Anspruch genommen, als wir erwartet haben. Aber wir konnten mit allen kontaktierten Partnern eine Vereinbarung schliessen. Die SOE ist das erste Vorhaben, das alle Kantone und alle öffentlich-rechtlichen und privaten Versicherer gemeinsam umgesetzt haben. 

 

Gibt es heute noch Interessenkonflikte?  

Nein, die gibt es nicht mehr. Trotz der breiten und vielseitigen Trägerschaft sind sich alle Beteiligten einig, dass es die SOE braucht und ein Erdbeben nur gemeinsam bewältigt werden kann. Die Schaffung der SOE hat vielmehr dazu beigetragen, dass Kantone, Eidgenossenschaft und Versicherer viel enger zusammenarbeiten. 

Warum ist die SOE und ihr Vorgehen wichtig und zielführend für die Schadenbewältigung? 

Es lässt sich auf einen einfachen Nenner herabbrechen: Die Bevölkerung wünscht sich Stabilität und einen «Normalzustand». Ein Erdbeben ist zunächst einmal ein akutes Ereignis, das diesen Normalzustand stört und das es zu bewältigen gilt. Wir sehen aber an Fällen auf der ganzen Welt, dass nach einem Erdbeben die betroffenen Gesellschaften auf Jahre hinaus nicht zum Normalzustand zurückkehren können, zum Beispiel weil beim Wiederaufbau Verzögerungen entstehen. Das sind Folgeschäden, die bei entsprechender Vorbereitung vermindert werden können. Ich bin froh, dass es mit der SOE eine Organisation gibt, die sich dieser Langzeitperspektive widmet. 

Wie ist die SOE aufgebaut? 

Die SOE ist als Verein organisiert. Vereine entsprechen oft einem aktiven Bedürfnis, etwas zu bewirken. Dass der Verein so breit getragen wird – neben allen Kantonen und dem Fürstentum Liechtenstein sind dies auch die kantonalen Gebäudeversicherungen und Privatversicherungen – zeigt deutlich, dass dieses Bedürfnis nach einem Kompetenzzentrum vorhanden ist.  

Gerade mit Blick auf den Katastrophenschutz wird immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag gestellt. Die Antwort darauf ist immer dieselbe: Hoffentlich tritt der Ereignisfall nie ein. Aber wenn es trotzdem einmal passiert, werden wir sehr froh sein, uns darauf vorbereitet zu haben.  

Wie finanziert sich die SOE? 

Die SOE wird zu einer Hälfte durch die Kantone und das Fürstentum Liechtenstein und zur anderen Hälfte durch die Gebäudeversicherungen und die Privatversicherungen finanziert. Die Kosten für den Betrieb werden durch eine schlanke Organisation auf ein Minimum reduziert. 

Wo würden Sie die SOE in der Vorsorgeplanung der Schweiz positionieren?  

Grundsätzlich gehören wir in der Schweiz zum Glück zur Weltspitze, wenn es um die Vorsorge geht. Wir dürfen uns aber nicht auf den Lorbeeren ausruhen. Erst recht nicht bei einem Thema, das nur alle paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte akut wird. Die SOE muss in der Vorsorgeplanung die wichtige Schaltstelle zwischen Bundesämtern sowie Kantonsstellen auf der einen Seite und privaten Vorsorgern auf der anderen Seite sein. Deshalb haben wir auch viele Partner auf diesen beiden Seiten gewinnen können. Die SOE ist jener Knoten, der zwei lose Enden zusammenknüpft. 

Die SOE entstammt einem Public-Private-Partnership-Projekt. Was versteht man darunter?   

Ganz einfach gesagt kommen bei einer Public-Private-Partnership die öffentliche Hand und die Privatwirtschaft zusammen, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. In unserem Fall wollen beide Seiten den Schaden eines Erdbebens möglichst geringhalten. 

Wie ist die RK MZF (Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr), die sie vertreten, darin zu verorten? Weshalb ist diese Konferenz für SOE relevant? 

Die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr bringt viel Fachwissen mit, wenn es um die unmittelbare Bewältigung von Elementarereignissen geht. Ein wichtiges Schlagwort dabei ist die «Resilienz», also die Durchhaltefähigkeit. Bei einem Erdbeben können unsere Organisationen Menschen retten, Brände löschen, Schutt räumen, die Umwelt schützen, Verletzte oder Obdachlose unterbringen – das ganze Programm der Rettungskräfte. Diese Sicht bringen wir ein. 

Wer sind die anderen Partner der SOE? Warum sind diese Partnerschaften essenziell für die SOE?  

Ich habe gerade gesagt, was die Rettungsorganisationen einbringen. Sie können aber nicht den Wiederaufbau der Gesellschaft vorantreiben und die zivilen Strukturen stabilisieren. Ein Erdbeben dauert zwar häufig nur einige Sekunden, aber die Folgeschäden können Jahre andauern. Das betrifft dann häufig auch die Privatwirtschaft. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir in der SOE eine Partnerin haben, die diese Perspektive einbringen. 

Was braucht es von der Schweizer Politik, damit die SOE erfolgreich agieren kann?  

Wir haben bereits sehr grosse Unterstützung aller Kantone, die ohne die Politik nicht möglich wäre. Hilfreich für die Arbeit der SOE wäre sicher eine ideelle Unterstützung ausserhalb der Verwaltungsstrukturen, damit unserem Hauptanliegen – nämlich der Vorsorge – mehr Gewicht verliehen wird. Die Erdbebenvorsorge darf kein Luxusanliegen sein und kommt allen Gesellschaftsschichten zugute.